Notes on Social Theory: Laudatio for Danilo Scholz, Winner of the Heinrich Mann Prize 2019

I don’t write that often in German right now. But I have had to do so twice in the last few weeks and it has been a refreshing change.

It was a particularly pleasant task to write a laudatio for my friend Danilo Scholz who this year won the prestigious Heinrich Mann prize of the Academy of Arts (Akademie der Künste) in Berlin.

It was originally an East German prize and the list of previous winners is extraordinary. Before 1989 it went to amongst others Stefan Heym, Heiner Müller, Christa Wolf and Volker Braun. Since German unification the honorees have included Götz Aly, Wolfgang Schivelbusch and Karl Heinz Bohrer.

So, for Danilo to win the prize was pretty mind-blowing and to be asked to give the laudatio was no less so for me.

After I gave my talk, Danilo followed it by a typically brilliant and acerbic reply that left the representatives of the Academy somewhat stunned. I’ll leave it to him, or some other venue to publish that in due course.

Anyway, here is the text in German with thanks to Jörg Feßmann of the Academy for editing:

 

“Der Straßenkampf lässt sich auch ganz unverfänglich propagieren. Bereits der Name der französischen Website Lundi matin weckt eher Assoziationen an gediegenes Frühstücksradio. Die Seite ist minimalistisch, aber mit einem nicht zu verkennenden Willen zur Eleganz gestaltet. Die Autoren orientieren sich an einem selbstverliebten Ethos journalistischer Gelassenheit, das im Moment seiner existentiellen Krise augenzwinkernd wiederbelebt wird. Inhaltlich aber geht es knallhart zur Sache:”

Mit diesen Sätzen beginnt Danilo, verzeihen Sie mir diesen Stilbruch, aber ich kann meinen Freund nicht anders anreden, … mit diesen Sätzen beginnt Danilo seine Besprechung im „Merkur“ über die französische ultralinke Gruppe Das Unsichtbare Komitee.

Wenn ich meinen englischsprechenden Freunden versuche zu vermitteln, was Danilos deutsche Schriften so einnehmend machen, sind es solche Absätze, an die ich denke.

Was gefällt, ist das, was man auf Englisch the attack nennen würde. Attack im musikalischen Sinne, im Sinne des Bogenansatzes des Geigenspielers.

Dieses unvermittelte, plötzliche “auch” im ersten Satz.

Der Straßenkampf lässt sich AUCH ganz unverfänglich propagieren.

Auch? Wie sonst noch? Wir sind sofort zum Mitdenken aufgefordert.

Solche Momente der Spannung wechseln ab mit dem lockeren Bezug zur Populärkultur, zum easy listening des Frühstücksradios, …. immer wieder geschnitten mit der radikalen Teilnahme an der Medienwelt des 21. Jahrhunderts. Es geht Danilo, erinneren wir uns, um eine linke Webseite.

Und dann kommt der Knaller: das „selbstverliebte Ethos journalistischer Gelassenheit, das im Moment seiner existentiellen Krise augenzwinkernd wiederbelebt wird”.

Erinnerungen an Walter Benjamin werden wach: -Im Augenblick der Gefahr – im Moment seiner existentiellen Krise …. Aber eben augenzwinkernd und unter Journalisten.

Es ist dieser ungeduldige, umtriebige, herbe, assoziationsreiche Stil, der Danilo Scholz zu einem der hervorragendsten deutschschreibenden Essayisten seiner Generation macht.

Und das ist nicht nur eine Frage des Stils, bei Danilo geht es zur Sache.

Nicht dass Sie auf die Idee kämen, dass Danilo Scholz jemand ist, der, weil er sich für die radikale Linke interessiert, den Strassenkampf schöngeistig verherrlichen würde.

Der „Merkur“-Aufsatz über das Unsichtbare Komitee ist eine Demontage. Die Radikalen des 21. Jahrhunderts fallen weit hinter das Niveau von Guattari und Deleuze zurück. Die Vorstellung der Ultralinken, aus der Katastrophe von Hurricane Katrina erwachse die Befreiung, ist der blanke Hohn. Ihr Versuch, die Globalisierung als Antwort auf widerständische Aufstände zu lesen, ist Nonsense, ist das Ergebnis eines eklektizistischen „Geschichts-Hopping, das sich von der Klitterung mitunter kaum noch unterscheiden lässt”. History-Hopping ist eines der Scholzschen Wortprägungen, die wir ins Englische reimportieren sollten.

Aber selbst bei der Demontage lernt man etwas dazu. Auch das ist typisch für einen Essay von Danilo Scholz.

Der quichottische Widerstand der Antiglobalisierungskräfte gegen die neueste Trasse des TGV dient Danilo als Sprungbrett für einen excursus in die Geisteswelt des französischen Positivismus des 19. Jahrhunderts. Wir entdecken Michel Chevalier, den berühmten Co-Autor des Cobden-Chevalier Freihandelsabkommens, von einer ganz neuen Seite. Chevalier stellte sich vor, mittels eines riesigen Schienensystems den Mittelmeerraum für immer zu einem integrierten Friedensraum zu vernetzen. Eine technizistische Erneuerung der Träume vom ewigen Frieden des 18. Jahrhunderts.

Danilo liest Schlüsselfiguren der französischen Belletristik der Gegenwart, Autoren wie Houellebecq und seinen jungen Epigonen Aurélien Bellanger, als Archäologen einer vergangenen Zukunft. Sie unternehmen Ausflüge in den französischen Staatsfuturismus der 60er, 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Seine Hinterlassenschaften sind die Concorde, der Atomstrom, das TGV und das Minitel – Frankreichs öffentlich-rechtliche Vorwegnahme des Internet. Houellebecq und Konsorten schreiben, so Danilo, einen “Abgesang auf das französische Industriezeitalter … das von den positivisten, von Saint-Simon, seinen Schülern und Zeitgenossen eingeläutet wurde.”

Geschichte & Geschichtsphilosophie

Belletristik & Politische Theorie

Politik und Popkultur

Den Cocktail, den Danilo Scholz für uns mischt, findet man nicht auf der gewöhnlichen Getränkekarte der akademischen Disziplinen.

Danilos Texte leben im Kleinen wie im Grossen von Momenten der Inkongruenz, von erstaunlichen intellektuellen Amalgamen:

“Mitfahrgelegenheiten, die Geschichte machen sollten” – im Aufsatz über den Filmkritiker Jean Douchet.

“Ein Zusammenbruch, den das lyrische Ich vor dem Käseregal erleidet” – Houellebecq

“Die geschichtsphilosophische Grundierung von Aktenvermerken” – bei Kojève.

Diese Inkongruenzen sind nicht nur Details. Sie sind Programm. Darin steckt bei Danilo nicht nur eine Theorie der Moderne, sondern eine Theorie der Rolle der Intelligenz in der Moderne. Und das zwingt natürlich zur Selbstreflexion. Von dir, von uns erzählt diese Geschichte.

Diese Arbeit der historischen und theoretischen Reflexion und Selbstreflexion, diese Arbeit ist so dringend, weil wir dadurch befähigt werden eine entscheidende Unterscheidung zu treffen, nämlich die zwischen dem Untergang “einer bestimmten Ausprägung der Figur des Intellektuellen” und dem “Untergang einer Welt” an sich.

In der Bestimmtheit, mit der er diese Unterscheidung zieht, gründet die Tatsache, dass Danilo Scholz, bei aller kritischen Haltung, kein pessimistischer oder apokalyptischer Denker ist, sondern ein vorwärtsdenkender Realist bleibt.

Zur realistischen Erfassung unserer Welt gehört eben die Anerkennung hybrider Momente und Formen der Intellektualität.

Mitfahrgelegenheiten mit Konsequenzen, Aktenvermerke, getränkt mit Geschichtsphilosophie.

In Danilos Essays geht es um Figuren wie Edward Snowden, der durch seine Rolle als “private contractor” Zugang bekam zu den innersten Gehirnwindungen des amerikanischen Sicherheitsapparates. Wie es bei Danilo so schön heißt, verkörpert Snowden “die Einführung der Public-Private-Partnership in die radikale Politik”.

Danilo widmet einen wunderschönen Essay dem Grenzgänger Jean Douchet, fahrender Filmkritiker und umtriebige Inspiration für Frankreichs unübertroffene cineatische Kultur. Eine figure der nouveau vague, der durch das neue Medium der DVD und seiner immensen Speicherkapazität ein zweites Leben geschenkt wurde.

Oder dem Verleger Francois Maspero, der nicht mal zu Ende studierte, der aber Fanon zuerst in Paris publizierte und über Jahrzehnte das französische intellektuelle Leben von links provozierte.

Abtrünnige Techniker, widerständige Verleger, post-positivistische Romanciers, es kann nicht erstaunen, dass Danilos Auge auch auf Alexandre Kojève fiel, dem russischen Exilanten, Geschichtsphilosophen und Bürokraten.

 

Kojève ist bekannt für die Vorlesungen, die er in den 30er Jahren in Paris zu Hegels Phänomenologie hielt. Aber was Danilo besonders vorhebt und wie kein anderer vor ihm erhellt, ist Kojèves Karriere nach 1945 als handelspolitischer Stratege der 4. und 5. Republik. Und vor allem geht es, für Danilo bezeichnend, um Kojèves Übergang von der Philosophie in die Rolle des Technokraten. Dieser Karrierewechsel, geradezu paradigmatisch für Danilos Interesse, war bei Kojève die konsequente Antwort auf eine geschichtsphilosophische Diagnose. Es war Kojève, der das Ende der Geschichte im modernen Machtstaat verkündete. Aber dieses Ende musste eben doch noch gestaltet werden, man musste ihm in Europa, vor allem in seinem mediterranen Raum den entsprechenden Rahmen geben. Und das tat man besser über den Staatsdienst als in der Universität, die Kojève als ein Abstellgleis verachtete. Die Intelligenz, die einen Rest historischer Aktualität noch für sich beanspruchen konnte, sammelte sich anderswo, in den Expertenstäben, den internationalen Organisationen, in think tanks.

Dabei bleibt die Frage, wem Kojèves Treue in letzter Instanz gehörte, nach wie vor nicht vollständig geklärt. Er diente Frankreich. Aber schon Zeitgenossen gingen davon aus, dass über ihn eine Schiene nach Moskau lief.

Man darf auf Danilos große Biographie, die bei C.H. Beck erscheinen wird, sehr gespannt sein.

Produktiv an Danilos unorthodoxer, entgrenzenden Definition der Intellektualität ist nicht nur die Möglichkeit, das Netz wissenssoziologisch weit zu spannen, sondern außerdem auch die ganze Person mit in Betracht zu ziehen. Wie es im Titel einer frühen Arbeit heißt, die Danilo bei Chris Clark in Cambridge schrieb; “Reforming Bodies and Changing Minds”. Auch der Körper denkt mit, oder eben nicht. Und das hat Konsequenzen.

Was machen wir aus der Entdeckung einer pornographischen Bildersammlung, z.T. selbstgemacht, in Kojèves persönlichem Nachlass? Sollte das auf unser Verständnis seines philosophischen Begriffs der Begierde, des désire abfärben, der die treibende Kraft in seiner Auslegung der Hegelschen Dialektik ist?

Für Maspero, dem Verleger, war es umgekehrt wichtig, Bücher herauszugeben, “die so furchtbar sind, dass mir davon schlecht wird“.

In Danilos frühen brillanten Beiträgen für das Edit Blog weiss man zum Teil nicht, ob man gerade eine Restaurantbesprechung oder einen politischen Text liest, daher der Titel “politische Kulinarik”, und Danilos bekannte Vorliebe für die Kolumne – lunch with the financial times. Essen, Trinken und Denken gehen zusammen.

Mit dem Körper kommt der Suff, der Dreck, der déraison, Themen, die Danilo nie los lassen. Bezeichnend die Sympathie, mit der er François Châtelet begegnet. Chatelet war einer der besten Freunde von Deleuze und Mitstreiter in der berühmt-berüchtigten philosophischen Fakultät in der Pariser Vorortsuni Vincennes, Kampfplatz der 68er Bewegung. Chatelets 1975 erschienener autobiographischer Text Années de démolition kehrt, wie Danilo es ausdrückt, die Logik des Bildungsromans in ihr Gegenteil. Statt die Fortsetzung hegelianischer Geschichtsphilosophie mit biographischen Mitteln zu betreiben, wie im Bildungsroman üblich, macht es Chatelet umgekehrt. Er beginnt mit der Niederschrift seines Buches im Krankenhaus, in das er eingeliefert wurde, weil seine Organe nach jahrelangem Alkoholkonsum nach und nach den Dienst verweigerten. Sein Buch dokumentiert nicht Jahre der Bildung, sondern Jahre des Abrisses.

Danilo interessiert sich für den ganzen Kreislauf, – nose to tail, wie man kulinarisch sagt – das Essen, die Vitalität, die Narkose, das Ausscheiden, der Dreck, die Scheiße, und das endgültige Ende.

Danilos Texte durchzieht eine besondere Faszination für den Tod, für das Ende der Geschichte. Aber auch für die Frage wie wir trotzdem weitermachen.

Für Kojève, dem elitären Intellektuellen, hieß das, sich in die Bürokratie zu versenken, nicht mehr dem eitlen persönlichen Erfolg des Autors hinterherzueilen, sondern das Gelingen des kollektiven Projekts Europas voranzutreiben. Wer möchte ihm nebenbei ein bisschen Onanie vergönnen.

Aber die Erschöpfung der Geschichte kann auch anders aussehen. Unvergesslich die Schlussszene in Danilos Nachruf auf den Verleger Maspero. Der ehemalige Mitstreiter für die algerische Unabhängigkeit bereist 2001 ein letztes Mal das Heldenland seiner Jugend. Dabei wird er zum Zeugen eines blutigen Bürgerkriegs, der mindestens 120.000 Menschen das Leben kostete.

So beschreibt Danilo die Begegnung:

“Das Algerien, das Masepero bereist, wirkt wie eine riesige Baustelle, aber es scheint kein Zeichen von Wohlstand zu sein. Das Land wird von islamistischen Terroranschlägen heimgesucht, das Militär schlägt brutal zurück und macht vor der Zivilbevölkerung nicht halt. Funktionierende staatliche Strukturen gibt es kaum. Wenn Politiker von der glorreichen Vergangenheit reden, von der Revolution, der Unabhängigkeit, macht das viele Menschen nur noch wütend. Man habe den Eindruck, schreibt Maspero, dass die Unsicherheit… dazu führt, dass algerische Familien, „um nicht völlig den Halt zu verlieren, alles auf diesen einen Traum setzen: ein eigenes Haus, das man sich nach und nach baut, je nachdem, wie viel Geld man übrig hat, auch wenn es erst in zehn oder zwanzig Jahren fertig sein wird.“ So traurig, war die Beschreibung eines Immobilienbooms selten.”

source: http://db.world-housing.net/pdf_view/103/

Der Ton in Danilos Essays ist nie schwerfällig, aber immer ernst. Die Einsätze sind hoch. Selbst in einer kleinen TV-Kritik geht es um die Qualität des öffentlichen Lebens, um die Literatur selbst. Und wie in einem Bürgerkrieg üblich, kann man nicht immer davon ausgehen, dass Gefangene genommen werden.

Heute Abend, darüber sollte es keinen Zweifel geben, ehren wir einen Streiter. Das macht die Lektüre ja auch so spannend, man ist nie sicher, wann es losgeht.

Eine Biographie des FAZ-Mannes Schirrmacher verspricht “viel Drama und noch mehr Kinkerlitzchen aus der Boyzone.” Welch genialer Dolchstoss. Boyzone – der Name einer sprichwörtlich mittelmäßigen Gruppe aus der Popmanufaktur wird umfunktioniert, um “die großen Migrationsbewegungen des deutschen Männerfeuilletons”, in anderen Worten ein nicht unwesentlicher Teil der Geistesgeschichte der Bundesrepublik, lapidar zu charakterisieren. Boyzone … das muss man sich bitter auf der Zunge zergehen lassen.

Gnadenlos verreißt Danilo jede Prätension. „Souverän ist, wer über die stärkste Phantasie verfügt.“ – so ein selbstverliebter FAZ-Feuilletonist. Worauf Scholz antwortet: “So kann man Carl Schmitt auch entwaffnen: durch Strafversetzung in den Kindergarten.”

Ein bisschen Raubtier ist er, der Danilo Scholz, den wir heute Abend ehren. Ein bisschen blutrünstig.

Aber ein Raubtier, das zur Selbstreflexion mehr als fähig ist. Der über sich selbst und seine Aggression nachdenkt. Über seine jugendlichen Überlebensstrategien auf den Fußballplätzen Sachsen-Anhalts in der katastrophalen Nachwendezeit, Arbeitslosigkeit bei 25% plus. Nie larmoyant. Immer matter of fact.

Ein Senktrechtstarter. Von Wolfen-Bitterfeld nach Cambridge, an die ENS rue d’ulm, Berkeley und die Écoles des hautes études, über Schulpforte und die Studienstiftung.

Mit der alleinerziehenden Mutter und den Großeltern nebenan auf der LPG gleichzeitig emotionaler Rückhalt und Abschussrampe.

Seien wir uns im Klaren darüber, Danilo Scholz ist soziologisch gesprochen eigentlich ein Ding der absoluten Unmöglichkeit. Es gibt ihn eigentlich nicht, und es gibt ihn doch. Und daraus ergeben sich tatsächlich gewisse Spannungen.

Wie er auf facebook nach einer seiner Abrechnungen mit den Kollegen von der „Zeit“ vermerkte:

“Wie viel Affekt gehört in die Texte oder schleicht der sich ohnehin, ob man es will oder nicht, mit unangenehmen Folgen in das Geschriebene ein? Mein Hass-Post über das Zeit-Feuilleton muss wohl besonders krank rübergekommen sein, obwohl danach große innere Ruhe bei mir einkehrte. Du kannst einen Bitterfelder Tiger nicht ewig in der Bibliothek halten, der pinkelt dir doch alles voll. Im Internet hingegen riecht’s keiner.”

Es geht hier nicht um Blutsport als Selbstzweck. Es geht um eine historische und politische Klärung, und da muss man manchmal zum Messer greifen.

Ein Paradebeispiel ist Danilos Beitrag zum Wiederaufleben des Diskurses der Postmoderne nach der Wahl Donald Trumps. Man kennt die Schablone. Die französische Postmoderne ist an allem Schuld – postfaktische Politik, Wahrheitsverneinung, ethnische identity politics, das Ende der liberalen Demokratie.

“Was kann man angesichts eines solchen Florilegiums historisch unbeleckter und begrifflich haltloser Behaupterei überhaupt tun?” Verzweifelt Danilo. Man merkt, dem Tiger ist zum Brüllen zumute. Aber dann regelt er sich, und es geht zur Sache:

“Im Folgenden soll weniger vom Poststrukturalismus und der Postmoderne die Rede sein als von einzelnen intellektuellen Werdegängen und Konstellationen. Reduziert man so den Abstraktions- und Bezichtigungsgrad, ergeben sich präzisere Möglichkeiten der geschichtlichen Einordnung. … Je größer die Verwirrung der Gegenwart, desto dringender ist historische Genauigkeit bei den Erklärungsversuchen geboten.”

Was folgt ist eine kunstvolle Verkehrung der Fronten, aus dem Derrida, Guattari, Deleuze und Foucault als die Rationalisten und Realitätsmenschen hervorgehen. Während umgekehrt, BHL – Bernard Henry Levy – der vermeintliche Fürsprecher des Anti-Totalitarianism, gegen Putin, gegen Brexit – als Poseur entlarvt wird.

Diese Themen, die Krise der klassischen Intellektuellen, die Körperlichkeit, die Hybridität, die Wende zur Sachlichkeit, sind im Grunde nicht neu. Es sind die Elemente einer postklassischen Moderne mindestens seit den 30er Jahren. Aber das ist kein Einwand. Vor allem nicht gegenüber einem historisch denkenden Menschen wie Danilo. Ihm geht es ja gerade um die Historisierung der Intelligenz in der Moderne. Um spezifische intellektuelle Werdegänge und Konstellationen, nicht um verflachende Formeln. Wie Danilo resümiert: “Genau hinschauen, um etwas zu sagen zu haben: Ob im Journalismus oder der Ideengeschichte, sicherlich nicht das schlechteste Ethos des Schreibens.”

Klingt einfach, aber das genaue Hinschauen hat es unter heutigen Bedingungen in sich. Es erfordert eine kontinuierliche und mutige Arbeit an den Gedanken, am Text und an der eigenen Person.

Wobei ich zum Schluss kommend gerade die Aktualität von Danilos Interventionen in zwei Dimensionen hervorheben möchte.

Viel ist über die neuen Medien geschrieben worden. Wir haben alle unsere persönlichen Präferenzen. Wie die meisten sozialwissenschaftlich orientierten bevorzuge ich persönlich twitter. Aber wenn in Zukunft mal die cultural history von Facebook geschrieben wird, als Schnittstelle der Kulturgeschichte des angehenden 21. Jahrhunderts, dann wird Danilo Scholz einen Platz für sich verdient haben. Er ist einer der Meister des Genre. Frei geschrieben, uneditiert, auf Zitaten aufbauend, ensteht auf seiner facebook page ein grenzenüberschreitendes Collagenwerk.

Aus Frankreich auf Englisch und Deutsch schreibend über Texte in allen drei Sprachen hat Danilo seine frappierende Dreisprachigkeit mit großer Konsequenz als persönliches aber auch politisches Projekt verfolgt. Er editiert gewisserweise ein europäisches Feuilleton.

Wie er auf facebook über sich selbst sagt. “Ostdeutsche Herkunft, Destination Europa. Das reicht für eine Existenz. Wie Schottland ist auch Ostdeutschland ein Sprungbrett ins Postnationale. 1989 fällt die Mauer, erstmal in den Westen, …. 1995 dann Schengen, erst Jahre später ausgekostet: in Berlin in den Zug steigen, in Lissabon wieder aus. Zwischendurch fragt keiner nach dem Pass. Pure Euphorie war das. Und nicht nur weil ich nach der langen Nachtfahrt bierselig ins morgendliche Tageslicht stolperte. Wie kann man so etwas als Elitenprojekt abkanzeln?”

Wenn nicht als Elitenprojket wie denn sonst? Als populär oder sogar proletarisch? Zum Nachtzug gehört Bier, schon immer. Aber für Danilo geht es um mehr, es geht, wie er es selbst formuliert hat, um die Ausbildung “eines anti-elitären Dandyismus des Geistes”.

Unser Preisträger heute Abend, meine Damen und Herren, ist dafür ein Prototyp – ein Chronist, ein Stilist, ein Analytiker eines Denkens, das aus dem Vollen schöpft.

Herzlichen Dank an die Akadmie für diese erfrischende Wahl.

Und herzlichsten Glückwunsch, mein lieber Danilo, zu dieser wunderbaren Auszeichnung.

 

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